1995, Frankfurt: Boris Becker besiegt Michael Chang mit 7-6, 6-0 und 7-6 und krönt sich damit zum Weltmeister. 23 Jahre später steht nun wieder ein Deutscher an der Weltspitze des Tennissports. Alexander „Sascha“ Zverev bezwang am Sonntag Novak Djokovic mit 6-4 6-3 und holte damit nach langer Zeit den Titel wieder zurück nach Deutschland. Allerdings waren die Vorzeichen grundlegend anders im Vergleich zu dem Becker-Triumph.
Mittlerweile findet die Tennis-WM nicht mehr in Frankfurt statt, gespielt wird in London. Außerdem wird nur noch über zwei Gewinnsätze gespielt und nicht mehr im Best-of-five Modus. Neben den Regeln war aber auch die Ausgangslage damals eine ganz andere: Becker war bereits mehrfacher Grand-Slam Sieger und längst etabliert in der Favoritenrolle, während Zverev eigentlich noch so niemand richtig den großen Wurf zugetraut hatte. So war es überraschend und schön zugleich, als am Wochenende Gewissheit herrschte und Zverev den Henkelpott in die Höhe streckte.
Aber von Beginn an: In London traten die acht besten Spieler des Jahres 2018 an und spielten um den Titel bei den ATP Finals. Da Del Potro und Nadal verletzungsbedingt absagen mussten, rückten Platz 9 und 10 im Single Race, Kei Nishikori und John Isner, nach. Neben den vier Grand-Slam Turnieren gilt das Turnier von London als wichtigstes des Jahres und stellt gleichzeitig den Saisonabschluss dar.
Die Gruppenphase
Zunächst wurde in zwei Vierer-Gruppen gespielt, die zwei besten sollten sich fürs Halbfinale qualifizieren. Zverev wurde in eine Gruppe mit Djokovic, Isner und Marin Cilic gelost. Letzterer war auch Gegner des Deutschen in der Auftaktpartie. Zverev gewann die Partie zwar mit 7-6 7-6, das Niveau war aber sehr überschaubar und lebte größtenteils von der Spannung. Zu dem Zeitpunkt konnte wohl also noch keiner ahnen, wie das Turnier am Ende der Woche enden sollte. In seiner zweiten Partie musste Zverev dann das erste Mal gegen Djokovic, den Weltranglistenersten und absoluten Turnierfavoriten ran. Im ersten Satz war die Partie noch recht ausgeglichen, Zverev hielt lange gut mit und hatte selbst Breakbälle zum 5-4. Diese konnte er nicht nutzen und musste anschließend selbst das Break fressen, was gleichzeitig den Satzverlust bedeutete. Zverev schien danach mental gebrochen zu sein, der zweite Satz ging mit 6-1 klar nach Serbien und somit auch das Match. Durch den abschließenden 7-6 6-3 Erfolg über den Aufschlagriesen Isner konnte Sascha aber das Halbfinale buchen.
In der anderen Gruppe spielten Roger Federer, Kevin Anderson, Kei Nishikori und der Österreicher Dominic Thiem um den Einzug ins Halbfinale. Die zwei nach der Weltrangliste besten positionierten Spieler, Federer und Anderson, konnten sich durchsetzen.
So ergaben sich dann die Paarungen Djokovic-Anderson und Zverev-Federer im Halbfinale. Während Djokovic mit Anderson kurzen Prozess machte, ging es beim anderen Halbfinale enger zu. Federer und Zverev gaben sich im ersten Satz bei eigenem Service keine Blöße und es sah lange Zeit nach einem Tiebreak aus, ehe Zverev beim Stand von 6-5 aus seiner Sicht nochmal einen Gang hochschaltete und zum Satzgewinn breakte. Im zweiten Satz konnte Federer zwar früh breaken, musste aber das direkte Rebreak hinnehmen und so ging es im zweiten Satz dann in den Tiebreak. Dieser war ebenfalls sehr eng, die ersten neun Punkte holte allesamt der Aufschläger. Beim 5-4 war es dann Federer, der das Match durch einen leichten Volleyfehler am Netz entschied, Zverev konnte anschließend ohne Probleme ausservieren.
Am Ende stand dann ein Zweisatz-Erfolg von Zverev, der zwar etwas überraschend kam, aber hochverdient war.
Im Finale kam es dann also zur Neuauflage des Gruppenspiels, Zverev sah sich erneut der schier unüberwindbaren Hürde Novak Djokovic gegenüber. Djokovic wurde bis Dato seiner Favoritenrolle mehr als gerecht, erreichte das Finale ohne Satzverlust und musste nicht ein einziges Mal seinen Aufschlag abgeben. Zverev steigerte sich zwar von Spiel zu Spiel im Turnier, durch die Performance des starken Gegners hatte er aber die klare Außenseiterrolle inne.
Jedem war klar: Er braucht einen absoluten Sahnetag und Djokovic durfte nicht sein allerbestes Tennis zeigen, sonst wird das nicht. Genauso sollte es dann auch kommen: Zverev war gerade beim Aufschlag unantastbar, brachte jedes Aufschlagspiel locker nachhause. Spielerisch zeigte er sich ebenfalls in extrem guter Verfassung, machte kaum Fehler und hielt mit Power von der Grundlinie aus dagegen. So war er es, der Djokovic als erstes den Aufschlag zum 5-4 abnahm und im folgenden Spiel nichts mehr anbrennen ließ. Mit dem Satzvorsprung im Rücken ging es dann noch leichter von der Hand, Zverev war mental sehr sicher und führte nach vier Spielen im zweiten Satz erneut mit 3-1. Jetzt musste er cool bleiben und durfte nicht daran denken, vor welchem Erfolg er gerade steht. Man sollte meinen, mit 21 Jahren nicht die leichteste Aufgabe, doch Zverev blieb stabil und schaffte sogar ein weiteres Break zum Matchgewinn.
Nach dem verwandelten Matchball ging Zverev überwältigt zu Boden und Tennis-Deutschland taumelte vor Glück. Djokovic gratulierte fair und zeigte sich erneut als großer Sportsmann. Durch den größten Karriereerfolg von Zverev eroberte der sich Weltranglistenposition vier zurück, Del Potro fiel auf Platz fünf.